Friday, June 13, 2008

Himmel über Bethlehem

Der Himmel über Bethlehem ist voller Gebete
Es gibt Tage, wo die Luft spürbar schlecht ist, an anderen Tagen fegt der Wind durch die Straßen, wirbelt Staub auf und drückt einem die Dreckfahne eines geschäftigen Tages ins Gesicht. Der Wind lässt dann kühlere Luft zurück und darum nimmt man seine Aggression hin. Es gibt Abende, an denen die Luft eine Spur feuchter ist als sonst, weil es ein Westwind war, der sich vom Mittelmeer die Berge herauf gemüht hat. Regen bringt auch dieser Wind nicht, Wolken vielleicht, graue Wolken, die den Abendhimmel frühzeitig färben, aber keinen Regen. Angenehm ist der Wind aus Osten, er ist trocken und treibt die angestaute Luft aus der Stadt.
Weiter oben, aber das stelle ich mir nur vor, über den Städten Jerusalem und Bethlehem, da steht die Luft still. Sie ist angefüllt von Gebeten, muslimischen Gebeten, die den melodischen Rufen der Muezzine folgen, fünf Mal am Tag steigen diese Gebete in dichten Reihen auf. Christliche Gebete folgen ihnen, über den ganzen Tag verteilt, meist in arabischer, aber auch mal in aramäischer Sprache in den vielfältigen Traditionen der orientalischen und westlichen Kirchen. Schließlich sind dort, hoch am Himmel über diesen Städten, die jüdischen Gebete, die von der Klagemauer aufsteigen, von den Tischen der Sabbatfeiern, aus Synagogen. Der Himmel ist wie ein reifer Olivenbaum, voller bläulicher Früchte. Würde einer den Himmel schütteln, würden sie alle herabfallen, die leichten und die schweren Früchte, die Litaneien, die Stoßgebete, die leisen dankbaren und die laut geschrienen. Der Himmel über Bethlehem ist verhangen von Empfindungen, Schmerzen, Wut und Sehnsucht nach Erlösung.

Was macht der Himmel mit all diesen Gebeten?

Der Jüdische Soldat
Wenn die Zeit für das Gebet gekommen ist, breitet der Muslim, der gut vorbereitet ist, auch wenn er weit weg von einer Moschee oder von zu Hause ist, den Teppich oder den Pappkarton aus und beginnt sein Gebet. Wir sehen Männer, die durch den Checkpoint durch gekommen sind und in der ersten Ecke, die sich bietet, ihr Gebet beginnen. Und keiner schenkt ihnen Beachtung oder lacht. Der jüdische Soldat in der Kabine unterbricht seine Arbeit, die Arbeitserlaubnisse der Männer zu überprüfen und sie durchzuschleusen, Männer, die vielleicht schon über eine Stunde lang anstehen und durch die Kontrolle wollen. Der Soldat legt sich den Gebetsschal über Kopf und Schulter, dreht sich in eine Ecke, wo er niemanden sehen muss und betet. Draußen die Muslime warten schweigend und hoffen, der Beter in Waffen ist von der schnellen Sorte. Der Besitzer des Andenkenladens im Souk bewegt langsam den Rosenkranz in seinen Fingern und verfolgt gleichzeitig das Geschehen in der Gasse vor seinem Laden. Er kann nicht zur Marienvesper gehen, aber mit seinen Gebeten ist er dabei.

Da war der Jeep, der quer in der Straße hinter dem Ar Ram Checkpoint stand. Zwei Soldaten, einer saß mit dem Sturmgewehr in beiden Händen auf dem Kühler, der andere hatte die Waffe umgehängt, aber eben auch den Gebetsschal, Helm ab, die Kippa auf dem Kopf und, von der Straße abgewandt betend. Einige Jungs machen sich den Spaß und spielen mit einer Blechbüchse Fußball, der Soldat, der die Wache doppelt wachsam halten muss, guckt zu, sein Kopf ist klar nach rechts gerichtet. Währenddessen klettern links drei Jungs über die Mauer, die hier nicht hoch ist, hinüber. Das Manöver war klar. Das Gebet und die Ablenkung. Und kaum sind die drei Jungs hinüber, hören die anderen mit ihrer Blechbüchse auf und rennen lachend davon.

Gebet an der Mauer
Jeden Freitag Abend treffen sich die Caritas-Schwestern vom Kinderkrankenhaus an der Mauer zum Gebet. Die Brüder der Christlichen Schulen (vom La-Salle-Orden) schließen sich ihnen an, manchmal eine Novizin des nahen Emanuel Klosters oder auch Pilgergruppen aus aller Welt. Es ist das Stück Mauer zwischen dem großen Tor, das nur für Touristenbusse und Ausländer mit eigenem PKW geöffnet ist und dem Kloster. Es ist nicht weit von unserer Wohnung entfernt und wir gehen möglichst regelmäßig hin. So lernen wir den Grundbestand der Rosenkranz Litanei auf Italienisch, Arabisch, Englisch und Deutsch. Wir gehen auf und ab, dreimal, eine halbe Stunde lang. Dann tauschen sich die Beter noch über dies und das vom Tage, über wichtige Ereignisse und über das kleingeschriebene Menschliche aus. Dann gehen sie jeder seiner Beschäftigung nach. Warum haben sich die Schwestern diesen Ort ausgesucht, beten sie für oder gegen was? „Nein“, sagen sie, „die Juden haben ihre Klagemauer und wir begnügen uns mit dieser Mauer hier, Gott hört und sieht uns alle“. Mehr Kommentar ist von ihnen nicht zu kriegen. Gebet? Muss man das erklären?

Gebet im Käfig
Es ist früh, zwei Uhr dreißig, der Sternenhimmel klar, die Nacht noch lange nicht fertig. Wir kommen zum Kontrollpunkt, dem viel gehassten Checkpoint. Wir wollen mit eigenen Augen sehen, ob die ersten Männer wirklich schon vor drei Uhr hier ankommen. Und es stimmt: Sechs Männer liegen, in Pappkartons eingepackt, am oberen Ende des Gitterweges. Hier ist der schmale Durchgang durch die ca. 45 cm dicke Mauer. Davor sitzen und liegen sie. Sie sind um 2 Uhr gekommen. Wir zählen und schreiben auf, wie viele in den nächsten 2 Stunden kommen. Um fünf Uhr wird der Eingang geöffnet und sie wollen die ersten sein, die durchkommen. Die Männer, die erst gegen fünf Uhr kommen, haben dann ca. 800 Frühaufsteher vor sich und müssen bis zu zwei Stunden warten, bis sie durch die Kontrollen durch sind.
Um 2.55 Uhr, sagen meine Notizen, steht ein einzelner Mann auf und betet. Ein früher Muezzin hat zum Gebet gerufen, ich weiß nicht, warum so früh. Um 3.55 Uhr, da ist der eingezäunte Weg schon bis unten hin voll von sitzenden Männern, erheben sich alle, die Muezzin singen von allen Minaretten. Die Männer stehen Schulter an Schulter nach Mekka ausgerichtet und vollziehen die gleichen Bewegungen, das Symbol der Waschung, das Hinknien, mit der Stirn den Boden berührend und so weiter. Dann hören wir einen Vorsänger, schön singt er, schlicht und die Männer antworten im Chor. Sie stehen auf, stehen still und gesammelt, legen die Hände über die Knie und senken die Köpfe. Es ist eindrucksvoll, es lädt ein, mitzubeten, es ist ein bewegender Anblick. Ein gemeinsames kräftiges Gebet steigt über diesen Käfig aus Stahl und Stacheldraht, in denen die Männer eingezwängt sind. Hat das Gebet einen Bezug zu dem Ort und der Situation, in der die Betenden sich befinden? Sie sind fertig und setzen sich wieder auf ihre Pappkartons. Und unmittelbar danach bricht weit unten das Geschrei aus. Es kommt von den Männern innerhalb des eingezäunten Weges und betrifft die jungen starken Männer, die wie Gangs aus den Sammeltaxis an der eingezäunten Schlange der Wartenden vorbei gehen, bis dahin, wo die Soldaten den Stacheldraht jeden Tag neu befestigen. Dort klettern sie und springen zwischen die Frühaufsteher, die hier schon seit einer Stunde sitzen und rauchen oder schweigend warten. So sparen die Eindringlinge eine gute Stunde Warten. Lautes Schimpfen, aber keine Handgreiflichkeiten.
Was für ein Kontrast: Das Gebet und das Kampfgeschrei!

Der Himmel wird licht von Osten her. Ein kalter Wind kommt auf und die Männer hier vorne vor dem Mauerdurchlass schützen sich mit den Kartons, die sie mitgebracht haben. Die Soldaten haben Wachwechsel, für einen Moment steht die Tür vom Wachturm, der in die Mauer integriert ist, offen. Oben im Wachturm ist Licht. Die Kamera hat die Bilder vom Gebet der Männer in den Raum dort oben übertragen. Was bedeutet den Soldaten, vielleicht frommen Juden, die selber viermal am Tag beten – was bedeutet ihnen das Gebet der Männer, die sie gleichzeitig verachten und fürchten?

Der Gott Abrahams
In meinem Pfarrkonvent in Berlin kam einmal die Frage auf, ob der Gott der Muslime, der Juden und der Christen derselbe Gott ist. Keine Zweifel: Der Gott Israels und der Vater von Jesus ist in unserer Theologie derselbe. Aber Zweifel, Scheu und heftige Abwehr herrschen vor gegen den Gedanken, auch Allah könnte der Gott unseres Glaubensbekenntnisses sein. Wie wenig relevant ist diese Frage hier, in der Situation Palästinas! Wie viel wichtiger ist die Frage: Wessen Auslegung der Thora, der Bibel und des Koran ist richtig oder ist verbindlich oder verdient unser Vertrauen. Oder, mit dem Blick in den Himmel über Bethlehem: Welche Gebete dringen durch zum Gott der Kinder Abrahams?

Wäre er wie wir Menschen, er müsste zwischen Schmerz, Zorn und Mitleid schwanken. Lachen wäre sicher auch dabei. Aber er ist nicht wie wir. Vielleicht schickt er Petrus mit einem großen Besen und lässt ihn von Zeit zu Zeit den ganzen Himmel über Bethlehem ausfegen – mindestens, um Platz für neue Versuche zu machen. Besser: Die Beter sollten hören lernen, wie ihr Nachbar betet, wie er sein Leiden, seinen Dank, seine Sehnsucht vor Gott bringt.

Der Himmel über den Heiligen Städten dieses Landes ist voll von Gebeten. Hören wir sie?

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