Monday, August 13, 2007

Zum Israelsonntag, 12. August 2007

Israel braucht Kritiker

Singt Gott das neue Lied, singt laut! Mit diesem Motto aus Psalm 33 sollen wir den diesjährigen Israelsonntag feiern. Ja! Es geht um Gott und wie wir ihn gemeinsam in der Welt bezeugen, Christen und Juden. Gott loben, darin finden wir Gemeinsamkeit. Und was die Gemeinsamkeit stört, darüber dürfen wir streiten.

Der reale Staat Israel
Israel, der reale Staat Israel – Israel muss an diesem Tag thematisiert werden. Dieser Staat Israel ist kein Lob Gottes vor den Völkern. Das Judentum, das dieser Staat Israel nach außen darstellt, schafft Gott keine Freunde, nicht unter seinen Nachbarn und nicht in der Gemeinschaft der Völker. Die Völker kommen heute nicht nach Zion, um seinen Gott zu loben. Ich sage: Dieses Israel braucht Kritiker, keine falschen Freunde, die die Augen vor dem Unheil, in das es läuft, verschließen.

Anders als unsere reformatorischen Väter sehen wir heute „Israel“ nicht als das abgestrafte alte Volk Gottes. Anders als die Protestanten des 19 Jahrhunderts sehen wir „die Juden“ nicht als Objekt christlicher Mission. Wir sehen Israel als Gottes Modell und als Partner für unser Bekenntnis zu Gott in einer gottlosen Welt. Und das reale Israel, wie alle Versuche, einen Gottesstaat auf Erden zu errichten, verdient dabei unsere kritische Aufmerksamkeit.

Engagiertes Hinsehen
Israel braucht Kritik, nicht blinde Zustimmung zu seiner selbstzerstörerischen Politik. Ich schreibe das, nachdem ich zweimal im Friedensprogramm des Weltkirchenrates in Israel/Palästina mitgearbeitet habe, insgesamt ein halbes Jahr lang. Ich war in Jerusalem, in seinem Westen, seinem Osten und seinem Umland, jenseits der Sperranlage, in den abgeschnittenen Vororten und Nachbarstädten. Ich habe das Leiden der Menschen in diesem Land gesehen und sie lieben gelernt. Gott sei Dank!

Ich stand da, wo morgens um 5 Uhr die ersten tausend Männer und einige Frauen darauf warten, durch die Sperre gelassen zu werden, die Israel durch das Land gezogen hat. Ich habe die demütigenden Prozeduren erlebt, denen sie dort unterzogen werden. Ich habe versucht, zu helfen, wenn Palästinenser abgewiesen wurden: Kranke, die in ihre Krankenhäuser in Ostjerusalem, Pilger, die zum Freitagsgebet zur Al Aqsa Moschee oder Menschen, die einfach Arbeit in der Stadt suchen wollten. Ich habe ihre tiefe Frustration zu spüren gekriegt. Und ich habe dort auch Menschen getroffen, die verzweifelt versucht haben, an einen Weg aus diesem Zustandes suchen. Gott sei Dank!



Traumatisiert
Ich habe junge Soldaten gesehen, die dabei von Angst und Aggressivität und Offiziere, die vom Gefühl der Macht geleitet wurden. Ich habe Menschen unter der Belastung leiden sehen, die jede Besatzungsmacht prägt: Väter, die ihre Söhne nicht mehr verstehen und Kinder, die das Schweigen der Väter über ihre Kriegserlebnisse nicht mehr aushalten. Aber ich habe auch Kriegsdienstverweigerer gesehen, die den Mut haben, dafür ins Gefängnis zu gehen. Und Mütter, die sich jeden Morgen aufmachen, um die jungen Soldaten an den Kontrollpunkten auf mindestens faires Verhalten zu verpflichten. Gott sei Dank!

Ich habe Menschen erlebt, die sich gegenüber stehen, die getrennt in einem Land aber in zwei traumatisierten Gesellschaften leben. Menschen die geprägt sind von Angst vor- und Hass gegeneinander; die die Eskalation von Tat und Folge erleben, aber nicht rational zu ihren Anfängen zurück verfolgen; die fatalistisch oder aggressiv in die nächste Runde steigen, weil niemand ihnen den Weg aus dem Trauma weist. Völker, die ihr Trauma kultivieren - und Nachbarn, die sich auf die eine oder die andere Seite stellen? Wo soll da Hilfe herkommen? Aber ich habe auch Menschen erlebt, Israelische Soldaten und palästinensische Freiheitskämpfer, die ausgestiegen sind, die miteinander reden und die dafür werben, dass auch andere aussteigen und miteinander reden. Und Väter und Mütter, die um Gefallene, um Opfer von palästinensischen Selbstmordattentaten und von israelischen Erschießungskommandos trauern; die sich zusammentun: Israelis und Palästinenser, weil Trauer nicht trennen muss, sondern auch einen kann. Diese Menschen zeigen den Weg aus dem Trauma. Es gibt sie. Gott sei Dank!

Israelische Freunde
Ich bin befreundet mit Israelis, die als Führer und Pädagogen im großen Gedächtnis-Mahnmal, in Yad VaShem arbeiten und die sich daneben für eine Gedächtniskultur Israels engagieren, in der auch die Zerstörung von arabischen Dörfern und die Vertreibung von Palästinensern erinnert werden. Befreundet mit Israelis, die sich gegen die Vernichtung der Kultur der Beduinen und ihre Zwangsumsiedlung in Lager einsetzen. Ich habe mit ihnen gemeinsam Chanukka, Schawuot, den 9. Aw oder einfach den Beginn des Sabbat gefeiert – oder neben ihnen gestanden bei ihren Mahnwachen. Es gibt mutige Israelis. Gott sei Dank!

Noch ein Wort zu meinen israelischen Freunden. Sie haben verschiedene politische Ansichten. Sie setzen mit der Kritik bei Konzepten des Zionismus ein oder mit der falschen Entscheidung zur fortdauernden Besatzung der Palästinensergebiete oder bei der Militarisierung der Gesellschaft. Diese Freunde wollen nichts davon hören, dass ich als Deutscher sage: Ich als Deutscher… Nein!, sagen sie, Du musst das Trauma der Deutschen Schuld überwinden, sonst bist du uns nichts nutze! Sie geben mir das Recht, hier als Mitmensch und als Christ zu schreien: Israel braucht Kritik, nicht vornehmes oder ängstliches Wegschauen. Und sie trauen uns das zu, gerade uns Deutschen. Gott sei Dank!

Kommt, lasst uns streiten! Gott loben, das ist unsere, der Juden und der Christen gemeinsame Mission in der Welt. Der Jüdische Staat Israel, der sich nicht vom Trauma seiner langen Vorgeschichte trennen kann, braucht unsere Solidarität. Jerusalem und Israel, die Stadt und das Land der Gotteserfahrungen, die das alte Israel, die die Christenheit, die der Islam dort gemacht haben – sie brauchen unser Gebet. Sie brauchen unsere Kritik.
Denn Gott braucht ein neues Lied.

Vereidigung von Soldaten vor der Klagemauer