Monday, June 25, 2007

Ökumene konkret: Mitarbeiter des ÖRK in Jerusalem

Wir sitzen bei den Schwestern der Orthodoxen Schule in El Azariya, dem biblischen Bethanien. Hier, wo Maria, Martha und Lazarus lebten, betreibt die Russisch Orthodoxe Kirche eine Schule für Mädchen aus christlichen Familien. Schwester Martha, die sich mit Schwester Maria die Leitung von Schule und Mädchenpension teilt, lässt sich und der Mutter Oberin die Mitglieder des Teams vorstellen. Douglas, kurz Doug, Kanadier schottischer Abstammung, kommt aus der presbyterianischen Tradition. Tina ist Schwedin und natürlich lutherisch. Matlagomeng, kurz Tlago, ist Tswana aus Südafrika und kommt aus einer Freikirche in methodistischer Tradition. Gottfried aus Berlin hat Mühe, die Unierte Konfession darzustellen. In dem Gespräch werden immer wieder Erfahrungen der sechs Leute, die hier auf der Terrasse im Schatten des Feigenbaumes sitzen, eingebracht, man versteht einander besser, weil die Situation in Palästina mit den Lebenserfahrungen aus den jeweils unterschiedlichen Regionen der Welt und der Ökumene abgeglichen und gegenseitig verständlich gemacht werden. Tina war vorher in Albanien und in der Ukraine und hat Aufbauarbeit in Perioden der Neufindung von Nationen kennen gelernt. Tlago bringt die Erfahrungen von Südafrikanern ein, die als Christen in der Unterdrückung mit einem Unterdrückungsregime zu tun hatten, das sich seinerseits als christlich verstand. Gottfried braucht nichts aus Deutschland zu erzählen, weil Schwester Martha Deutsche ist. Er bringt darum die Situation der lutherischen Gossnerkirche in Indien ein, einer Minderheit von Ureinwohnern, die sich gegen den wachsenden Hindu-Fundamentalismus wehren muss. Doug erwähnt, wie die Kanadischen Kirchen in Bedrängnis sind, weil die Forderungen der Indianer auf Land, das jetzt noch im Kirchenbesitz ist, sie verarmen ließe, wenn sie durchgesetzt würden. Schwester Martha erzählt von den Schwierigkeiten, die die orthodoxen und überhaupt alle christlichen Familien hier in Bethanien haben. Sie sind eine Minderheit und fühlen sich doppelt bedroht, aber sie werden jetzt im Zuge des Mauerbaues von Jerusalem abgetrennt. Und das bedeutet nicht nur eine Abtrennung vom benachbarten Konvent der Russisch Orthodoxen Schwestern, sondern auch das Ausbleiben von Touristen und Pilgern, die über den Garten Gethsemane und den Ölberg nach Bethanien zum Grab des Lazarus gekommen waren. Vor allem aber bedeutet es die Trennung der Familien, die diesseits und jenseits der Mauer leben, mit der Israel seinen annektierten Teil von Jerusalem hier absichert gegen das besetzte Palästinensergebiet.

Die Runde auf der Terrasse der Orthodoxen Schwestern beschreibt einen besonderen Aspekt unserer Arbeit: Wir treten als ein Ökumenisches Team auf, nicht nur mit dem Mandat des Weltkirchenrates in Genf, sondern mit den unterschiedlichen Erfahrungen und mit der weit gefächerten Spiritualität unserer Heimatkirchen, die wir hier einbringen.

Wir haben Pfarrerinnen und Pfarrer unter uns, engagierte Laien, Leute, die eine aufgeklärte und säkularisierte moderne Gesellschaft vertreten und andere, die wieder auf der Suche nach mehr Spiritualität sind. Wir haben auch Leute aus hinduistischer Tradition unter uns und solche, die sich über aller Religiosität sehen und für die das, was sie hier in der „Heiligen Stadt“ beobachten, ein Anachronismus ist. Alle sind jedoch an der Überlebensfrage Israels und Palästinas engagiert, aber auch an der Frage, wie groß der Anteil der Religionen am Konflikt oder an der Lösung des Konfliktes ist. Wenn wir als große Gruppe von 20 Freiwilligen aus 7 Ländern zusammen sind, stehen immer Gruppen zusammen, die sich gegenseitig dazu befragen oder diskutieren: Wie ist das mit politischen Aussagen in deiner Kirche? Warum brauchen einige Kirchen das Zölibat? Wie sieht das Friedensengagement in deiner Kirche aus? Und die Deutschen werden dann immer gefragt: Warum stehen eure Kirchen in der öffentlichen Diskussion so einseitig auf Seiten Israels? Manchmal werden wir heftig und reden laut, manchmal lachen wir. Aber immer gehen wir bereichert aus der Diskussion, weil wir gelernt haben, dass wir mit den Traditionen der Anderen auch andere und neue politische und spirituelle Erfahrungen kennen und schätzen lernen.

Die Runde auf der Terrasse der Schwestern von Bethanien wiederholt sich an anderen Orten. Und ich bin ganz sicher, dass ich mich auch selber besser verstehen werde, wenn meine Gruppe zum Beispiel vor einer Synagoge steht und von einem Juden gefragt wird: Was ist das – „Ökumene“? Das ist Bartek aus Krakau, sage ich dann. Sein Großvater war evangelisch, in der Kirche Augsburgischen Bekenntnisses; sein Vater ist Katholik und Bartek sucht hier in dem Friedensprogramm eine engagierte Kirche, die seinem modernen Weltbild entspricht. Oder Paul aus England sagt: Das ist Gottfried aus Berlin, sein Missionswerk unterstützt die Palästinensische Lutherische Kirche hier im Land; aus seiner Kirche kommen auch junge Freiwillige für ein Jahr nach Israel, die zum Beispiel z.B. Holocaust-Überlebende in Altersheimen pflegen. Aber seine Kirche kommt aus dem deutschen Dilemma nicht heraus, in jedem Fall lieber politisch korrekt zu reden, als zum Skandal der andauernden Besatzung. Und Pandora aus Südafrika lacht und sagt: Das ist Paul mit dem Namen eines Bengalen, sein Vater ist als Hindu nach England gekommen und seine Kinder könnten Juden werden, wenn er hier die richtige Frau trifft. Und dann lachen doch alle mit Pandora, oder? Das ist Ökumene in Jerusalem.


Gottfried Kraatz, Freiwilliger
und Valentina Maggiulli, Koordinatorin
bei den Frauen in Schwarz
Freitag, 8. Juni 2007
anlässlich der Woche des
Gedenkens an 40 Jahre
Okkupation Palästinas

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