Thursday, June 14, 2007

Das ist unser Krieg!

Der junge Soldat hatte das Fenster mit den doppelten Scheiben aus schusssicherem Glas geöffnet. Das tun die Soldaten in ihren Wachhäuschen eigentlich nie. Sie rufen über Lautsprecher; manchmal tun sie das auf Arabisch; aber immer ist es so laut und verzerrt, dass ein schmerzhafter Ausdruck auf den Gesichtern sämtlicher Passanten erscheint und viele sich die Ohren zuhalten. Dieser Soldat hier hatte versucht, uns über den Lautsprecher und auf Hebräisch anzusprechen und dann, weil wir nicht wie von ihm gewünscht und gewohnt reagiert hatten, das Fenster geöffnet. Er rief uns näher heran, so nahe, wie das eben ging mit dem Metallgitter zwischen uns. Und dann begann er ein Gespräch, das er mit diesem denkwürdigen Satz vom Krieg beendete. Das Gespräch begann, wie alle unsere Gespräche mit Soldaten beginnen, egal, ob sie anfangen oder wir. Wir beginnen Gespräche mit einem Gruß und mit der freundlichen Frage, ob sie englisch sprechen. Sie beginnen meist mit einem Befehl wie: Geht weg hier! Oder einfach: Geht! Geht! Wir haben auch einen Soldaten, der regelmäßig Dienst an einem der Kontrollpunkte tut, der macht, sowie er unser ansichtig wird, eine abweisende Handbewegung und ruft von weitem: Kein Englisch! Keine Fotos! Und auch das ist als Befehl gemeint. Wir verstehen das, lachen und klopfen auf die geschlossene Jackentasche, um zu zeigen, dass der Fotoapparat da drinnen bleibt. Aber dieser Soldat hier konnte Englisch und wollte auch reden. Er lehnte sich leicht aus seinem Fenster und fragte streng: Was macht ihr hier? Das Gespräch führte dazu, dass er uns erklärte, hier würde alles gut gemacht und wir würden hier nicht gebraucht. Umso besser, sagten wir, da habt Ihr ja nichts zu verbergen. Nein nein!, entgegnete er, jetzt ungeduldig, wir wollen euch hier nicht, das geht euch gar nichts an, das ist unser Krieg! Die Betonung lag auf dem Wort: unser.

Die Überwachung der Kontrollstellen gehört zu unseren Aufgaben. Wir besuchen regelmäßig vier sehr unterschiedliche Kontrollstellen. Eine davon liegt mitten im Palästinensergebiet und gehört zu den 546 Barrieren im Land, mit denen Israel nicht nur seine „Grenzen“ zu den Palästinensergebieten, sondern auch seine Straßen kontrolliert, die ausschließlich für Israelis, vor allem eben für die Siedler, durch Palästinensergebiete verlaufen. Vielleicht müsste ich an dieser Stelle was zu den Worten sagen, die in den Medien gebraucht werden und die auch ich verwende. Aber das würde zu diffizil, eben weil es ganz verschiedene Sperren und Durchlässe gibt. Im Original heißt es eben nicht wie im Englischen „Checkpoint“ oder wie im Deutschen „Grenzkontrolle“. Das hebräische Wort heißt „Machsom“, im Plural „Machsomim“. Es bedeutet: Sperre. Und es macht deutlich, dass es in erster Linie um die Barrieren, um die Absperrung und um Kontrolle des Verkehrs auch mitten in den Palästinensergebieten geht, nicht um ihre Durchlässe und einen Grenzverkehr.

Wir sind froh, dass wir bisher keine Kampfeinsätze erlebt, keine Festnahmen erkannt oder Handgreiflichkeiten gesehen haben, wie im vergangenen Jahr. In unseren Berichten steht dann meist in der entsprechenden Rubrik: Keine Vorfälle gesehen. Auch im Bericht über den Besuch des Checkpoints unter dem Ölberg heute früh steht: Keine besonderen Vorfälle. Und doch gehen wir jedes Mal frustriert von dem, was wir dort beobachten, davon oder sitzen im Bus, der sich im morgendlichen Stau langsam auf die Altstadt zu bewegt, und meditieren diese Situation. Mit uns im Bus sitzen dann, auf dem Weg zu ihren Arbeitsplätzen, die Palästinenser, die erstmal erleichtert sind, weil sie diese tägliche Demütigung der Grenzkontrollen hinter sich haben.

Keine besonderen Vorkommnisse: Das Brüllen der Lautsprecher, das Zucken in den Gesichtern der zwischen den Drehgittern eingezwängten, die gebogenen Rücken der Gedemütigten, die ihre Hände zur Computerkontrolle auf die Mattscheibe legen müssen; die abgewandten Blicke der Männer, die draußen und bevor sie in die Busse steigen, ihre Gürtel wieder in die Schlaufen ziehen, die Hemden ordentlich in die Hosen zwängen; die leichten Handbewegungen der jungen Soldaten, mit denen sie Erwachsene und Alte zu sich heranwinken; die verlorene Stunde Lebenszeit – das alles zählt zur Routine. Eine Mutter kommt mit zwei Kindern. Die Kinder nehmen sich an die Hand und zwängen sich gemeinsam durch das Drehgitter, während die Mutter, in einem Arm das Baby, mit der anderen Hand ihren gefalteten Buggy haltend hofft, dass die hinter ihr Drängenden nicht zu arg schieben, so dass sie mit dem Buggy in einem und sie mit dem Kind im anderen Segment des Drehgitters zur nächsten Kontrolle gehen kann. Sie muss drei dieser Drehgitter passieren; in der Personenkontrolle ist sie dann auf die Freundlichkeit der Soldaten angewiesen, die zulassen, dass der Kinderwagen außerhalb des Metalldetektors passieren darf. Das ist schmerzlich anzusehen, ist aber normal. Eine Soldatin geht Kaffee trinken, eine Linie fällt für 10 Minuten aus; Der Soldatin sind der Kaffee und die Pause zu gönnen; aber für die Grenzgänger entsteht die Frage: Sollen sie einfach die vielleicht 5 oder vielleicht 15 Minuten warten oder sich in die anderen Schlangen reinzwängen? Ein Mann hat seine Arbeitserlaubnis vergessen. Sie ist in der anderen Hose. Die Grenzbeamten kennen ihn doch, er geht jeden Tag hier durch. Aber das gilt nicht, er muss nachhause fahren, das Papier holen. Das kostet ihn eine Stunde, die ihm sein Arbeitgeber abziehen wird. Das ist noch kein Anlass, eine Beschwerde in Betracht zu ziehen. Eine alte Frau trägt Weinblätter auf dem Kopf, die will sie auf einer der Einkaufsstraßen in Jerusalem verkaufen. Sie hat keine Genehmigung und darf nicht durch. Sie schimpft. Der Soldat, 17 Jahre alt, fährt sie an und macht diese Bewegung mit dem gestreckten Arm und Zeigefinger: Geh schon! Er sieht ihr herausfordernd ins Gesicht, was man hier nicht tut. Die Frau spuckt ihn an. Er brüllt und reißt sein Gewehr hoch. Die anderen Soldaten sind ihrerseits alle wachsam und einer kommt und schiebt die Frau weg. Die Palästinenser ringsum sind fassungslos: Man berührt keine Frau in der Öffentlichkeit! Aber einer von ihnen kommt und geleitet die Frau höflich davon, damit die Szene nicht weiter eskaliert. Die unzähligen kleinen Demütigungen gehören zu diesem System. Im Bericht wird an diesem Tag stehen: Keine besonderen Vorkommnisse.

Am Donnerstag ist ein Mann aus der langen Schlange der Wartenden ausgeschert. Er ist auf uns zugekommen. Aggressiv hat er gefragt, was unsere Aufgabe hier sei. Langsam hat er verstanden, dass wir nicht Teil des Abfertigungssystems sind, sondern hier stehen, damit Verstöße gegen eine ordentliche Abwicklung der Grenzübertritte möglichst nicht vorkommen. Die anderen, die uns kennen, wollten ihn zurückziehen. Aber er war nun in Schwung. Er hat uns das Wort „Frieden“, das in unserem Titel steckt, vorgeworfen: Frieden könne es hier nicht geben. Sollen wir zustimmen, dass die uns unser Land wegnehmen, uns von unseren Familien trennen, Grenzen setzen, wo niemals welche waren? Sollen wir zustimmen, dass sie unsere Kinder von den Krankenhäusern fernhalten? Der Mann war Arzt und offensichtlich sehr erregt. Wir haben ihm zugestanden, dass er ein Recht auf diesen Zorn habe aber dass wir unsererseits dafür stehen, Gerechtigkeit wieder herzustellen und den Weg zum Frieden offen zu halten. Davon wollte er nichts wissen. Und viele der Männer in der Schlange der Wartenden haben es vorgezogen, wegzuschauen und ihre Meinung nicht zu erkennen zu geben. Wir haben das später zwischen uns Freiwilligen diskutiert und gesagt, dass auch das zu unserer Aufgabe gehört: Die Frustration der Opfer dieser Trennungsbarriere entgegen zu nehmen.
Am Sonntag war ich bei der Frühmesse der Franziskanermönche gewesen. Auf dem Weg nach Hause rief mich ein Mann an. Ich war der Meinung, es sei ein Taxifahrer oder ein Ladenbesitzer, der Kunden anspricht und wollte weiter gehen. Aber er lief mir hinterher und ich wandte mich, vorsichtshalber freundlich, ihm zu. Dieser Mann überfiel mich mit dem Vorwurf, dass ich an diesem Morgen nicht am Container Kontrollpunkt gewesen sei. Es sei sehr ruppig zugegangen. Völlig verblüfft habe ich ihm zugehört. Er hatte uns dort vor drei Tagen gesehen, aber am nächsten und übernächsten Tag vermisst. Die Soldaten lassen ihre Launen und Willkür an uns aus, sagte er. Warum steht ihr nicht immer da? Auch er war der Meinung, dass es unser Amt sei, dort für gute Abfertigung zu sorgen. Ich musste ihm aufzählen, wie viele andere Kontrollpunkte und Aufgaben wir noch hätten. Und überhaupt, dass wir eigentlich ganz machtlos und von der Grenzpolizei unerwünscht seien. Fast missmutig entließ er mich, eigentlich doch enttäuscht, dass wir nicht mehr für die Situation an der Sperranlage tun konnten.
Die Grenzübertritte und der Einschluss in den versperrten, besetzten Gebieten gehören hier zum Alltag. Aber sie sind grauenhaft. Die Mauer, 12 Meter hoch, kalter Beton, sieht schlimm aus, aber ihre Funktion, eine Sperre zu errichten, die täglich in das Leben der Menschen einschneidet – ihre Funktion ist schlimmer als ihr Aussehen. Das Leben unter der Besatzung, die nun schon 40 Jahre währt, länger als irgendeine andere Okkupation unserer Zeit, ist unerträglich. Es produziert täglich neuen Hass.
Zu verstehen ist das alles nur, wenn man die Sicht der anderen Seite zur Kenntnis nimmt: Israel wähnt sich im Krieg. Es sieht sich bedroht und von der restlichen Welt nicht verstanden. Und das hat der Soldat ausgedrückt, als er sich unsere Einmischung verbat. Was tut ihr, um uns zu schützen, fragen Israelis. Auch das diskutieren wir und finden, wir müssen uns das anhören.
„Das ist unser Krieg“, sagte der junge Soldat und schloss das Fenster mit den schusssicheren Scheiben.

Erstes Foto: Tina vor dem verschlossenen Drehgitter
Zweites Foto: Zwei Frauen von Machsom Watch reden mit den Soldaten
Drittes Foto: Ein Spürhund wird eingesetzt
Viertes Foto: Morgens um 6.30, Menschen warten auf die Kontrolle
Fünftes Foto: Die Kinder vom Flüchtlingslager Shufat zeigen uns "ihre" Mauer

1 comment:

Unknown said...

Die Situation an den Übergängen ist mit den Flüchtlingströmen der letzten Woche wahrscheinlich noch schlimmer geworden.....