Saturday, June 16, 2007

Beim Kamel Zuhause

Es war der Tag, als sie uns wieder Mal den Durchgang durch den Kontrollpunkt verweigert haben, sie, die Soldaten von der Grenzkontrolle. Wir stehen dann vor dem Drehgitter in der Reihe der anderen Passanten, aber jedes Mal, wenn einer von uns durch diese Schleuse gehen will, schließt die sich, erscheint das rote Licht über dem Drehgitter. Nach 5 Minuten haben wir das Spiel verstanden und suchen das Gespräch mit den Soldaten durch die Sprechanlage, die neben den Drehgittern hängt. Wir hören, dass wie nicht berechtigt seien, durch diese Kontrollanlage zu passieren, dass wir nach Bethlehem fahren sollen. Und so weiter, davon wollte ich aber gar nicht erzählen. Es war an diesem Tag, dass ich das Kamel zuhause besucht habe. Und vom Kamel wollte ich erzählen.
Vor einem halben Jahr habe ich von dem Kamel erzählt, das bei uns oben auf dem Ölberg an der großen Kreuzung erschienen und auch wieder verschwunden war, zu schnell, als dass ich es hätte fotografieren können. Jetzt hatte ich meiner Enkeltochter eine Postkarte vom Kamel und seinem Baby geschickt und irgendwie hatte ich das Gefühl, ich müsste eine persönliche Beziehung nachweisen, wenn der Gruß vom Kamel echt sein soll. So, wie ich hier in Jerusalem von Organisationen berichte, die ich kenne, mit denen ich zusammen arbeite. Diese Woche war voll von Veranstaltungen gegen die 40 Jahre Besatzung der Palästinensergebiete. In allen Veranstaltungen, die wir begleitet haben, haben wir Israelische Freunde getroffen. Und wir haben sie für unsere Veranstaltung geworben, in der wir für unsere Teams der Ökumenischen Begleiter, die nächste Woche hier in Jerusalem zusammenkommen, organisieren. Aber auch davon will ich hier nicht erzählen. Vom Kamel also.
An diesem Morgen, als am Kontrollpunkt nicht viel los war, habe ich mich von meinen beiden Kolleginnen gelöst und mich zu einem kleinen Spaziergang aufgemacht. Entlang der Mauer und den Hang aufwärts wollte ich sehen, wie die Grenze zwischen Jerusalem und der Westbank hier verläuft und was für ein Dorf das eigentlich ist, das hier oberhalb der Hauptstraße liegt. Die Hauptstraße führt nach Al Aizariya, dem biblischen Bethanien, jetzt nach Lazarus benannt, den Jesus aus dem Grab erweckt hat. Ich war also einige hundert Meter gegangen, als ich im Hof rechts von mir ein Kamel liegen sah. Das Kamel wurde schön hergerichtet. Ein Sattel war schon zwischen den Höckern befestigt, eine schöne rote Decke wurde darüber gebreitet und siehe da, die Decke hatte richtige Taschen. In den Taschen wurden die Vorräte für den Jungen verstaut, der mit dem Kamel arbeiten sollte, Wasser in einer Flasche und ein Brotfladen in einem Tuch und Obst und vielleicht Humus, das konnte ich nicht erkennen. Ich war stehen geblieben und hatte den Fotoapparat rausgeholt. Der Hausherr, der mit dem Kamel beschäftigt war, sprach mich an. Nach einem kurzen Gespräch bat er mich herein. Er erklärte mir, dass das Kamel sich jetzt aufmachen würde, mit dem Jungen, er zeigte stolz auf seinen Sohn. Sie sollten an der Lazaruskirche Touristen erfreuen. Die sitzen gern auf dem Kamel und wollen Fotos, erläuterte er. Der Junge nickte. Das war seine Arbeit.
Natürlich hatte ich jetzt Fragen, nicht nur zum Kamel, auch zum Leben hier direkt an der Mauer. Der Kamel- und Hausbesitzer führte mich in seinen Garten. Olivenbäume standen da, der Boden war gepflügt, einige Beete für Gemüse lagen dazwischen. Aber vor allem war es der Blick über das Tal, der mich faszinierte. Über die Mauer hinweg, die hier acht Meter hoch ist, waren die Hänge von At Tor zu sehen, oben der Ölberg mit seinen großen Anlagen des Auguste-Viktoria-Krankenhauses und des russischen Nonnenklosters. Und da war auch das Haus des Bruders, der ebenfalls ein Kamel hat und dieses den Touristen dort oben auf der Aussichtsplattform anbietet. Ach, sagte ich, das hatte ich neulich getroffen, abends, als es im kühlen Wind aushielt und auf die Touristen warten musste, die in der Dunkelheit kommen, um die Altstadt von Jerusalem als helle Stadt auf dem Berg zu sehen. Ja, sagte mein Gastgeber, die Kamele seien auch verwandt, wie er und sein Bruder. Aber jetzt leben sie getrennt. Er zeigte auf die Mauer. Das Kamel hat keinen Ausweis? Fragte ich. Aber das war kein guter Witz. Sein Gesicht wurde noch trauriger. Unser Leben hat sich verändert. Wir waren hier doch eine Familie, eine Stadt, führte er aus und zeigte auf die Hänge, die sie nicht bearbeiten konnten, weil sie zu nahe an der Mauer lagen. Das Land müsste wieder terrassiert, Wasser herangeführt werden. Aber dazu haben sie keine Erlaubnis. Ich dachte an den gepflegten Wald, etwas weiter drüben, hinter dem Gelände des Auguste-Viktoria-Krankenhauses. Dort hat Israel im früheren Niemandsland die Universität ausgebaut. Und unterhalb der Universität Land für Park und Wald ausgewiesen. Jüdische Geldgeber aus den USA haben ein Wäldchen anlegen lassen. Und man kann dort das Wunder erleben, wie aus der Judäischen Wüste ein Wäldchen wächst, Duft von Kiefern und kleinen Büschen verbreitend. Aber hier war zerrissenes und karges Land, erodiert und von der grauen Betonmauer gezeichnet.
Der Sohn des Bauern hatte uns auf einem Tablett zwei Gläser mit Tee gebracht, süß, mit frischer Minze. Den Tee hatten wir getrunken. Wir waren zurück beim Kamel. Als ich eine Portraitaufnahme von ihm machen wollte, protestierte es und war überhaupt ungehalten. Der Bauer, Mahmud, begann das Kamel zu streicheln und sanfte Laute in sein Ohr zu sagen. Das Kamel ließ in einer unendlich langsamen gleitenden Bewegung seinen immer länger werdenden gestreckten Hals niedersinken. Es nahm die Streichelbewegungen im Nacken mit einem zufriedenen Grunzlaut entgegen. Der lange Hals lag nun auf dem Boden des Hofes. Aus dem Augenwinkel beobachtete es mich, als wolle es sicherstellen, dass ich mich über die intime Situation nicht lustig mache. Vielleicht mochte es auch meinen Fotoapparat nicht, davon habe es genug den Tag über; hier habe es ein Anrecht auf Privatsphäre und Respekt. Ich zog mich zurück und verabschiedete mich dann auch. Schließlich wartete meine Aufgabe auf mich, etwas weiter unten, bei der Kontrollanlage.
Später, als der Kontrollpunkt für uns verschlossen war und wir auf eine Antwort von der Beschwerdestelle warteten, kam das Kamel vorüber, den Kopf hoch erhoben, wieder mit diesem Seitenblick, mit dem es vielleicht sagen wollte: Ich bin vielleicht ein Kamel, aber du verstehst nichts von meinem Leben! Und ich habe jedenfalls den Fotoapparat in der Westentasche gelassen. Die anfangs schnell geschossenen Fotos sind nicht besonders gut, aber ich schicke sie meiner Enkeltochter, als Beweis, dass ich beim Kamel zuhause war.

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