Monday, June 25, 2007

Ökumene konkret: Mitarbeiter des ÖRK in Jerusalem

Wir sitzen bei den Schwestern der Orthodoxen Schule in El Azariya, dem biblischen Bethanien. Hier, wo Maria, Martha und Lazarus lebten, betreibt die Russisch Orthodoxe Kirche eine Schule für Mädchen aus christlichen Familien. Schwester Martha, die sich mit Schwester Maria die Leitung von Schule und Mädchenpension teilt, lässt sich und der Mutter Oberin die Mitglieder des Teams vorstellen. Douglas, kurz Doug, Kanadier schottischer Abstammung, kommt aus der presbyterianischen Tradition. Tina ist Schwedin und natürlich lutherisch. Matlagomeng, kurz Tlago, ist Tswana aus Südafrika und kommt aus einer Freikirche in methodistischer Tradition. Gottfried aus Berlin hat Mühe, die Unierte Konfession darzustellen. In dem Gespräch werden immer wieder Erfahrungen der sechs Leute, die hier auf der Terrasse im Schatten des Feigenbaumes sitzen, eingebracht, man versteht einander besser, weil die Situation in Palästina mit den Lebenserfahrungen aus den jeweils unterschiedlichen Regionen der Welt und der Ökumene abgeglichen und gegenseitig verständlich gemacht werden. Tina war vorher in Albanien und in der Ukraine und hat Aufbauarbeit in Perioden der Neufindung von Nationen kennen gelernt. Tlago bringt die Erfahrungen von Südafrikanern ein, die als Christen in der Unterdrückung mit einem Unterdrückungsregime zu tun hatten, das sich seinerseits als christlich verstand. Gottfried braucht nichts aus Deutschland zu erzählen, weil Schwester Martha Deutsche ist. Er bringt darum die Situation der lutherischen Gossnerkirche in Indien ein, einer Minderheit von Ureinwohnern, die sich gegen den wachsenden Hindu-Fundamentalismus wehren muss. Doug erwähnt, wie die Kanadischen Kirchen in Bedrängnis sind, weil die Forderungen der Indianer auf Land, das jetzt noch im Kirchenbesitz ist, sie verarmen ließe, wenn sie durchgesetzt würden. Schwester Martha erzählt von den Schwierigkeiten, die die orthodoxen und überhaupt alle christlichen Familien hier in Bethanien haben. Sie sind eine Minderheit und fühlen sich doppelt bedroht, aber sie werden jetzt im Zuge des Mauerbaues von Jerusalem abgetrennt. Und das bedeutet nicht nur eine Abtrennung vom benachbarten Konvent der Russisch Orthodoxen Schwestern, sondern auch das Ausbleiben von Touristen und Pilgern, die über den Garten Gethsemane und den Ölberg nach Bethanien zum Grab des Lazarus gekommen waren. Vor allem aber bedeutet es die Trennung der Familien, die diesseits und jenseits der Mauer leben, mit der Israel seinen annektierten Teil von Jerusalem hier absichert gegen das besetzte Palästinensergebiet.

Die Runde auf der Terrasse der Orthodoxen Schwestern beschreibt einen besonderen Aspekt unserer Arbeit: Wir treten als ein Ökumenisches Team auf, nicht nur mit dem Mandat des Weltkirchenrates in Genf, sondern mit den unterschiedlichen Erfahrungen und mit der weit gefächerten Spiritualität unserer Heimatkirchen, die wir hier einbringen.

Wir haben Pfarrerinnen und Pfarrer unter uns, engagierte Laien, Leute, die eine aufgeklärte und säkularisierte moderne Gesellschaft vertreten und andere, die wieder auf der Suche nach mehr Spiritualität sind. Wir haben auch Leute aus hinduistischer Tradition unter uns und solche, die sich über aller Religiosität sehen und für die das, was sie hier in der „Heiligen Stadt“ beobachten, ein Anachronismus ist. Alle sind jedoch an der Überlebensfrage Israels und Palästinas engagiert, aber auch an der Frage, wie groß der Anteil der Religionen am Konflikt oder an der Lösung des Konfliktes ist. Wenn wir als große Gruppe von 20 Freiwilligen aus 7 Ländern zusammen sind, stehen immer Gruppen zusammen, die sich gegenseitig dazu befragen oder diskutieren: Wie ist das mit politischen Aussagen in deiner Kirche? Warum brauchen einige Kirchen das Zölibat? Wie sieht das Friedensengagement in deiner Kirche aus? Und die Deutschen werden dann immer gefragt: Warum stehen eure Kirchen in der öffentlichen Diskussion so einseitig auf Seiten Israels? Manchmal werden wir heftig und reden laut, manchmal lachen wir. Aber immer gehen wir bereichert aus der Diskussion, weil wir gelernt haben, dass wir mit den Traditionen der Anderen auch andere und neue politische und spirituelle Erfahrungen kennen und schätzen lernen.

Die Runde auf der Terrasse der Schwestern von Bethanien wiederholt sich an anderen Orten. Und ich bin ganz sicher, dass ich mich auch selber besser verstehen werde, wenn meine Gruppe zum Beispiel vor einer Synagoge steht und von einem Juden gefragt wird: Was ist das – „Ökumene“? Das ist Bartek aus Krakau, sage ich dann. Sein Großvater war evangelisch, in der Kirche Augsburgischen Bekenntnisses; sein Vater ist Katholik und Bartek sucht hier in dem Friedensprogramm eine engagierte Kirche, die seinem modernen Weltbild entspricht. Oder Paul aus England sagt: Das ist Gottfried aus Berlin, sein Missionswerk unterstützt die Palästinensische Lutherische Kirche hier im Land; aus seiner Kirche kommen auch junge Freiwillige für ein Jahr nach Israel, die zum Beispiel z.B. Holocaust-Überlebende in Altersheimen pflegen. Aber seine Kirche kommt aus dem deutschen Dilemma nicht heraus, in jedem Fall lieber politisch korrekt zu reden, als zum Skandal der andauernden Besatzung. Und Pandora aus Südafrika lacht und sagt: Das ist Paul mit dem Namen eines Bengalen, sein Vater ist als Hindu nach England gekommen und seine Kinder könnten Juden werden, wenn er hier die richtige Frau trifft. Und dann lachen doch alle mit Pandora, oder? Das ist Ökumene in Jerusalem.


Gottfried Kraatz, Freiwilliger
und Valentina Maggiulli, Koordinatorin
bei den Frauen in Schwarz
Freitag, 8. Juni 2007
anlässlich der Woche des
Gedenkens an 40 Jahre
Okkupation Palästinas

Sunday, June 17, 2007

Es ist EIN Gott

Sonntag, 17. Juni 2007, ich höre den Wind in der Kiefer vor meinem Fenster, das Hupen eines Autos und Vögel singen. Um ruhig zu werden, muss ich die Lautsprecherrufe von den Moscheen, die am frühen Morgen, gegen vier Uhr zum Gebet rufen und die Glocken der Kirchen hier oben auf dem Ölberg und die Rufe der Nachbarn im Gästehaus, die an meinem Fenster vorbei in ihren Tag gegangen sind, aus meinem Speicher löschen. Die Nachrichten, die von Nachrichtenagenturen, Fernsehsendern und andere Websites über den Laptop zu mir gekommen sind, ich muss sie aus meinem Sinn verbannen. Wie soll ich sonst ruhig werden, und ruhig werden will ich. Es ist Sonntag, ein Tag, den ich von unserem Friedensprogramm frei genommen habe. Meine beiden Kolleginnen haben auch frei genommen. eine ist zu einem Team im Norden des Palästinensergebietes gefahren. Die andere hat einen Tag in der Wellnesseinrichtung eines großen Hotels gebucht. Mir haben sie das Versprechen abgenommen, nichts zu machen, was zu unserer Arbeit gehört. Und geh nicht in die Kirchen!, haben sie gefordert, weil das unweigerlich zu Gesprächen mit alten oder neuen Bekanntschaften über die Lage im Lande führen würde. Und die freien Tage sollen doch dazu dienen, Abstand davon zu gewinnen. Also sitze ich in meinem Zimmer und versuche, still zu werden.

Die Tageslosung heißt heute – und die darf ich sogar an meinem freien Tag lesen: „Es ist ein Gott und Vater aller, der über allen und bei allen und in allen ist.“ Das ist ein Wort aus dem Brief, den der Missionar Paulus an Menschen im damaligen Kleinasien geschickt hat. Es war sein Versuch, den Menschen, die zwischen vielen Religionen, Sprachen und Kulturen gelebt haben, einen Standort zu zeigen, von dem aus sie freundlichen und feindlich gesonnenen Menschen gleich gerecht werden konnten.

Draußen, in Ostjerusalem, in den besetzten Gebieten der Westbank, im Gazastreifen und auch in Israel sind die Menschen aufgeregt; aufgebracht von den Ereignissen, die unmittelbar im Land passieren, aufgebracht auch gegeneinander. Die Bilder von Bürgerkrieg, von Hinrichtungen, von Hass und von der Zerstörung dessen, was anderen heilig ist, die Erklärungen, die Hamas, der Fatah, der israelischen Regierung und der westlichen Regierungen, die alle die Fatah stützen wollen – sie alle sind zutiefst verstörend. Je nachdem, welcher Seite man zuhört, geben die Fakten und Ereignisse ein anderes Gesamtbild. Hört man der Hamas zu, so war es richtig, den Verrat der palästinensischen Interessen durch die Fatah zu stoppen; sie weisen nach, wie Politik und Sicherheitsdienste der PLO mit Israel und den USA abgestimmt waren bzw. sind und wie die Palästinenser durch sie alles verlieren würden, was ihnen noch gehört. Hört man der Fatah zu oder den Beratern des Palästinenserpräsidenten, so haben die Kräfte der Hamas einen von langer Hand geplanten Putsch durchgeführt, mit dem Ziel, einen islamistischen Gottesstaat im Gazastreifen, in Palästina und in der Region zu errichten. Und den kann nur die Fatah stoppen. Hört man den arabischen Nachbarn zu, so warnen sie beide Parteien vor dem Bruderkrieg und vor dem Verrat des Eides, den sie auf den Koran geschworen haben, in Mekka, vor einigen Monaten. Aber die Nachbarn haben nichts getan und auch nichts zu bieten, was Vertrauen aufbauen könnte. Hört man zu und glaubt, dann hat die eine oder die andere Seite die Lösung.

Hört man nicht zu, dann vernichten die Bilder alle Hoffnungen, die Normalität des menschlichen Daseins finden, ein Leben in Ruhe führen zu können. Die Menschen wollen sich nicht zwischen der Propaganda der einen oder der anderen Seite entscheiden. Sie sind zutiefst verunsichert, weil die Zerstörung des Lebens, das durch die Israelische Besatzung ohnehin stark eingeschränkt ist, ihnen wieder nahe kommt. Krieg und Tod, Hass und Vergeltung, Furcht und Misstrauen – das wollen sie nicht. Aber es wird ihnen aufgezwungen. Die Menschen, denen wir tagtäglich begegnen, leiden. Und sie verlieren die kleine Hoffnung, die sie sich bewahrt hatten.

Und nun will ich die Bilder loswerden, die ich zuletzt gesehen habe. Das war vor 2 Tagen, am Freitag. Danach war ich nach Tel Aviv gefahren, wo man sich fühlen kann, als sei man in einem ganz anderen Land. Die Menschen gehen an die Strandpromenade, essen und trinken dort, liegen in der Sonne, spielen und schwimmen. Und tun so, als wäre das Leben sicher. Das war gestern. Aber zu den Bildern von vorgestern. Der Bürgerkrieg im Gazastreifen war soweit entschieden. Die ersten Auseinandersetzungen in den Zentren der Westbank waren erfolgt. Jetzt war Freitag, der Tag des Großen Mittagsgebetes. An diesem Tag strömen immer Menschen aus dem ganzen Land nach Jerusalem, in die Altstadt und zur Al-Aqsa-Moschee. So auch vorgestern.

Erstes Bild: Auf dem Weg vom Ölberg hinunter in die Stadt fanden wir Straßensperren. Gitter versperrten die Kreuzungen. Polizisten, schwer bewaffnet standen hinter diesen Sperren. Unser Bus musste einen riesigen Umweg fahren. Die Geschäftsstraßen gegenüber dem Damaskustor waren voll, wie immer, aber eine große Unruhe lag über den Menschen. Am Himmel schwebte ein Zeppelin, offensichtlich mussten Verkehr und Straßensperren vom Himmel aus kontrolliert werden. Später fielen die Busse ganz aus; als ich mittags noch einmal unterwegs war, musste ich zu Fuß laufen.

Zweites Bild: Die Stadttore waren ganz und gar gesperrt, Polizisten bildeten dichte und doppelte Kordons, durch die niemand vordringen konnte, den sie nicht durchlassen wollten. Wie immer bei solchen Sperren hieß es: Männer unter 45 oder unter 40 dürfen nicht in die Altstadt. Aber auch Frauen mit ihren Produkten für den Markt wurden nicht durchgelassen. Juden im Habit der Orthodoxen wurden seitlich an den aufgeregten Massen vorbei in die Altstadt eskortiert. Polizeikräfte waren tief in die Geschäftsstraßen hinein gestaffelt.

Drittes Bild: Mittags war ich zu unserem Büro nahe dem Neuen Tor unterwegs. Ich musste laufen. Auf dem kurzen Abschnitt der Stadtmauer nach Norden, entlang der Sultan Suleiman Straße, das sind etwa 1 ½ km, waren vier Gruppen von Männern, die offensichtlich nicht zur Al Aqsa Moschee durchgelassen worden waren, zum Freitagsgebet versammelt. In einem Fall waren es mehr als 200 Männer, von Polizei umstellt. Im Schatten eines Baumes standen zwei dieser Hannoveraner, Pferde, die in Deutschland speziell für Krawall-Einsätze trainiert worden sind. Um die Ecke stand ein Wasserwerfer in Bereitschaft. Die Männer saßen auf dem Asphalt der Kreuzung. Vor ihnen stand ein Prediger. Über einen Lautsprecher richtete er seine Worte an die Versammelten. Weit weg noch war seine Predigt zu hören. Frauen, die nicht in den Reihen der Männer beten können, standen und hörten zu. In einem anderen Fall war eine kleine Gruppe von einem Dutzend Männer direkt unter der Stadtmauer versammelt, im Gras sitzend, die Schuhe ausgezogen, im Schatten eines Baumes. Auch sie hörten auf einen Prediger. In wieder einem anderen Fall sah ich die Ladenbesitzer, die für ihre Kunden Pappen auf der Straße auslegten, die auch sofort zum Gebet, bei dem der Betende auf die Knie und mit dem Gesicht auf den Boden geht, verwendeten. Und im vierten Fall sah ich zwei Reihen Betender, die einen Vorbeter vor sich hatten und diesem in allen Gebetshaltungen folgten. Viele Männer standen auch einfach da und sahen sich das Spektakel an, ohne ihre Gemütsregung zu zeigen, aber so, dass keiner meinen durfte, sie seien gleichgültig.

Ich musste in unser Büro, weil nur dort eine feste Telefonleitung besteht. Mein Handy war für diesen Zweck nicht gut genug. Ich sollte ein Interview für den Westdeutschen Rundfunk geben. Ich wollte keinesfalls Fragen nach der politischen Situation beantworten. Dafür, wollte ich sagen, gibt es Spezialisten. Ich wollte auch keine eigene Meinung sagen, das ist nicht Teil unserer Aufgabe in diesem Friedensprogramm. Ich wollte erzählen, wie die Menschen die politischen Ereignisse aufnehmen und erleben. Wie reagieren die Menschen in Jerusalem? Auf diese Frage hatte ich gewartet, aber die kam dann nicht. Das Interview wurde aufgenommen – und wird in diesen Minuten ausgestrahlt – weil von heute an einige Tage lang in Amman eine große Konferenz des Weltkirchenrates zur Situation hier in Palästina und Israel und im Nahen Osten stattfindet. Und dazu sollte jemand, der für den Weltkirchenrat und seine Friedensmission vor Ort arbeitet, gehört werden. Stattdessen kam die Frage nach unseren konkreten Einsätzen und ob unsere Präsenz hier etwas bedeutet. Macht es einen Unterschied, ob Sie dort am Checkpoint stehen? So lautete die Frage. Und die andere hieß: Warum ist hier so wenig von der Realität der Palästinenser bekannt? Warum macht die Kirche nichts von dem, was Sie dort sehen, öffentlich?

Weil die Frage, wie sieht es heute in den Straßen von Jerusalem aus, nicht gekommen war, weil ich die Bilder, die meine Seele füllten, nicht zeigen konnte, muss ich es jetzt hier tun. Weil ich den Menschen in Deutschland keine fertige Meinung zumuten, sondern ihnen zutrauen will, dass sie mitdenken und mitfühlen, darum will ich beschreiben, wie die Menschen hier auf die Ereignisse reagieren.

Die Menschen auf den Märkten von Ostjerusalem, die sich nicht in die Häuser zurückziehen oder flach auf den Boden legen müssen, wie in Gaza-Stadt, sind tief frustriert. Sie wollen sich nicht von radikalen Gruppen vertreten lassen. Sie wollen keinen Krieg in ihren Straßen. Was beten ihre Imame? Und ich meine wieder nicht die, die im Radio gesendet oder die in unseren Zeitungen zitiert werden. Wen kann ich fragen?

Auf den Boulevards von Westjerusalem sind heute nach dem Sabbat die Geschäfte und Cafes wieder offen, die Menschen hier haben einen neuen Präsidenten, aber keine Regierung mit Visionen. Sie fragen sich gegenseitig, ob die Zukunft für sie dunkler oder heller scheinen wird. Was haben sie am Sabbat gebetet? Yael sagt: Wir Juden haben keine aktuell formulierten Gebete im Gottesdienst. Debbie sagt: Am Freitag haben wir das Gebet um Frieden gebetet wie immer, es stammt aus dem 19. Jahrhundert und hatte damals einen aktuellen Anlass. Und sie ist sicher, die Synagogenbesucher haben vorgestern das Gebet auf die gegenwärtige Situation bezogen und um Frieden für die Palästinenser und für sich selbst gebetet.

Die wenigen Christen, die heute in den Kirchen Jerusalems zusammen kommen, die nichts von der Konferenz in Amman wissen, die auch nur Zeitungen und Fernsehbilder kennen, von ihnen weiß ich: Sie fürchten die Islamisten, sie fürchten sie noch viel mehr als die gemäßigten oder die säkularen Muslime sie fürchten. Und sie sehen schwarz. Was beten sie in ihren Gottesdiensten? Ich werde sie fragen müssen.

Hier sitze ich und suche die Stille, die nötig ist, um mich auf das Wichtige zu besinnen. Ich spüre, dass ich noch viel lernen und verstehen will. Und ich hoffe, dass ich die Bilder, die ich nach Deutschland vermitteln will, dort verstanden werden. Ich hoffe auch, dass ich selbst in der Unruhe, die noch im Abstand vom Lärm der tragischen Ereignisse, bestehen bleibt, die Bewegung Gottes finde, die zu Gerechtigkeit und zu Frieden führen will. Aber zu dieser Mühe, die wirklichen Optionen für Gerechtigkeit und Frieden zu finden, gehört auch die Frage, die hier in Jerusalem so verdeckt und so von Lärm übertönt ist: Ist der Gott, den alle drei Religionen als Den Einen bekennen, ist er ein einigender Gott?

Unterdessen ist es Nachmittag. Der Wind hat zugenommen. Er ist unüberhörbar. Ich werde auf die Nacht warten. Dann wird es still. Und vielleicht lässt sich Gott, wie in der alten Geschichte vom Propheten Elias, in der Stille, die dem Sturm und dem Erbeben gefolgt waren, finden. Denn wenn wir ihn finden, werden wir wissen, dass er ein einigender Gott ist.

Saturday, June 16, 2007

Beim Kamel Zuhause

Es war der Tag, als sie uns wieder Mal den Durchgang durch den Kontrollpunkt verweigert haben, sie, die Soldaten von der Grenzkontrolle. Wir stehen dann vor dem Drehgitter in der Reihe der anderen Passanten, aber jedes Mal, wenn einer von uns durch diese Schleuse gehen will, schließt die sich, erscheint das rote Licht über dem Drehgitter. Nach 5 Minuten haben wir das Spiel verstanden und suchen das Gespräch mit den Soldaten durch die Sprechanlage, die neben den Drehgittern hängt. Wir hören, dass wie nicht berechtigt seien, durch diese Kontrollanlage zu passieren, dass wir nach Bethlehem fahren sollen. Und so weiter, davon wollte ich aber gar nicht erzählen. Es war an diesem Tag, dass ich das Kamel zuhause besucht habe. Und vom Kamel wollte ich erzählen.
Vor einem halben Jahr habe ich von dem Kamel erzählt, das bei uns oben auf dem Ölberg an der großen Kreuzung erschienen und auch wieder verschwunden war, zu schnell, als dass ich es hätte fotografieren können. Jetzt hatte ich meiner Enkeltochter eine Postkarte vom Kamel und seinem Baby geschickt und irgendwie hatte ich das Gefühl, ich müsste eine persönliche Beziehung nachweisen, wenn der Gruß vom Kamel echt sein soll. So, wie ich hier in Jerusalem von Organisationen berichte, die ich kenne, mit denen ich zusammen arbeite. Diese Woche war voll von Veranstaltungen gegen die 40 Jahre Besatzung der Palästinensergebiete. In allen Veranstaltungen, die wir begleitet haben, haben wir Israelische Freunde getroffen. Und wir haben sie für unsere Veranstaltung geworben, in der wir für unsere Teams der Ökumenischen Begleiter, die nächste Woche hier in Jerusalem zusammenkommen, organisieren. Aber auch davon will ich hier nicht erzählen. Vom Kamel also.
An diesem Morgen, als am Kontrollpunkt nicht viel los war, habe ich mich von meinen beiden Kolleginnen gelöst und mich zu einem kleinen Spaziergang aufgemacht. Entlang der Mauer und den Hang aufwärts wollte ich sehen, wie die Grenze zwischen Jerusalem und der Westbank hier verläuft und was für ein Dorf das eigentlich ist, das hier oberhalb der Hauptstraße liegt. Die Hauptstraße führt nach Al Aizariya, dem biblischen Bethanien, jetzt nach Lazarus benannt, den Jesus aus dem Grab erweckt hat. Ich war also einige hundert Meter gegangen, als ich im Hof rechts von mir ein Kamel liegen sah. Das Kamel wurde schön hergerichtet. Ein Sattel war schon zwischen den Höckern befestigt, eine schöne rote Decke wurde darüber gebreitet und siehe da, die Decke hatte richtige Taschen. In den Taschen wurden die Vorräte für den Jungen verstaut, der mit dem Kamel arbeiten sollte, Wasser in einer Flasche und ein Brotfladen in einem Tuch und Obst und vielleicht Humus, das konnte ich nicht erkennen. Ich war stehen geblieben und hatte den Fotoapparat rausgeholt. Der Hausherr, der mit dem Kamel beschäftigt war, sprach mich an. Nach einem kurzen Gespräch bat er mich herein. Er erklärte mir, dass das Kamel sich jetzt aufmachen würde, mit dem Jungen, er zeigte stolz auf seinen Sohn. Sie sollten an der Lazaruskirche Touristen erfreuen. Die sitzen gern auf dem Kamel und wollen Fotos, erläuterte er. Der Junge nickte. Das war seine Arbeit.
Natürlich hatte ich jetzt Fragen, nicht nur zum Kamel, auch zum Leben hier direkt an der Mauer. Der Kamel- und Hausbesitzer führte mich in seinen Garten. Olivenbäume standen da, der Boden war gepflügt, einige Beete für Gemüse lagen dazwischen. Aber vor allem war es der Blick über das Tal, der mich faszinierte. Über die Mauer hinweg, die hier acht Meter hoch ist, waren die Hänge von At Tor zu sehen, oben der Ölberg mit seinen großen Anlagen des Auguste-Viktoria-Krankenhauses und des russischen Nonnenklosters. Und da war auch das Haus des Bruders, der ebenfalls ein Kamel hat und dieses den Touristen dort oben auf der Aussichtsplattform anbietet. Ach, sagte ich, das hatte ich neulich getroffen, abends, als es im kühlen Wind aushielt und auf die Touristen warten musste, die in der Dunkelheit kommen, um die Altstadt von Jerusalem als helle Stadt auf dem Berg zu sehen. Ja, sagte mein Gastgeber, die Kamele seien auch verwandt, wie er und sein Bruder. Aber jetzt leben sie getrennt. Er zeigte auf die Mauer. Das Kamel hat keinen Ausweis? Fragte ich. Aber das war kein guter Witz. Sein Gesicht wurde noch trauriger. Unser Leben hat sich verändert. Wir waren hier doch eine Familie, eine Stadt, führte er aus und zeigte auf die Hänge, die sie nicht bearbeiten konnten, weil sie zu nahe an der Mauer lagen. Das Land müsste wieder terrassiert, Wasser herangeführt werden. Aber dazu haben sie keine Erlaubnis. Ich dachte an den gepflegten Wald, etwas weiter drüben, hinter dem Gelände des Auguste-Viktoria-Krankenhauses. Dort hat Israel im früheren Niemandsland die Universität ausgebaut. Und unterhalb der Universität Land für Park und Wald ausgewiesen. Jüdische Geldgeber aus den USA haben ein Wäldchen anlegen lassen. Und man kann dort das Wunder erleben, wie aus der Judäischen Wüste ein Wäldchen wächst, Duft von Kiefern und kleinen Büschen verbreitend. Aber hier war zerrissenes und karges Land, erodiert und von der grauen Betonmauer gezeichnet.
Der Sohn des Bauern hatte uns auf einem Tablett zwei Gläser mit Tee gebracht, süß, mit frischer Minze. Den Tee hatten wir getrunken. Wir waren zurück beim Kamel. Als ich eine Portraitaufnahme von ihm machen wollte, protestierte es und war überhaupt ungehalten. Der Bauer, Mahmud, begann das Kamel zu streicheln und sanfte Laute in sein Ohr zu sagen. Das Kamel ließ in einer unendlich langsamen gleitenden Bewegung seinen immer länger werdenden gestreckten Hals niedersinken. Es nahm die Streichelbewegungen im Nacken mit einem zufriedenen Grunzlaut entgegen. Der lange Hals lag nun auf dem Boden des Hofes. Aus dem Augenwinkel beobachtete es mich, als wolle es sicherstellen, dass ich mich über die intime Situation nicht lustig mache. Vielleicht mochte es auch meinen Fotoapparat nicht, davon habe es genug den Tag über; hier habe es ein Anrecht auf Privatsphäre und Respekt. Ich zog mich zurück und verabschiedete mich dann auch. Schließlich wartete meine Aufgabe auf mich, etwas weiter unten, bei der Kontrollanlage.
Später, als der Kontrollpunkt für uns verschlossen war und wir auf eine Antwort von der Beschwerdestelle warteten, kam das Kamel vorüber, den Kopf hoch erhoben, wieder mit diesem Seitenblick, mit dem es vielleicht sagen wollte: Ich bin vielleicht ein Kamel, aber du verstehst nichts von meinem Leben! Und ich habe jedenfalls den Fotoapparat in der Westentasche gelassen. Die anfangs schnell geschossenen Fotos sind nicht besonders gut, aber ich schicke sie meiner Enkeltochter, als Beweis, dass ich beim Kamel zuhause war.

Thursday, June 14, 2007

Das ist unser Krieg!

Der junge Soldat hatte das Fenster mit den doppelten Scheiben aus schusssicherem Glas geöffnet. Das tun die Soldaten in ihren Wachhäuschen eigentlich nie. Sie rufen über Lautsprecher; manchmal tun sie das auf Arabisch; aber immer ist es so laut und verzerrt, dass ein schmerzhafter Ausdruck auf den Gesichtern sämtlicher Passanten erscheint und viele sich die Ohren zuhalten. Dieser Soldat hier hatte versucht, uns über den Lautsprecher und auf Hebräisch anzusprechen und dann, weil wir nicht wie von ihm gewünscht und gewohnt reagiert hatten, das Fenster geöffnet. Er rief uns näher heran, so nahe, wie das eben ging mit dem Metallgitter zwischen uns. Und dann begann er ein Gespräch, das er mit diesem denkwürdigen Satz vom Krieg beendete. Das Gespräch begann, wie alle unsere Gespräche mit Soldaten beginnen, egal, ob sie anfangen oder wir. Wir beginnen Gespräche mit einem Gruß und mit der freundlichen Frage, ob sie englisch sprechen. Sie beginnen meist mit einem Befehl wie: Geht weg hier! Oder einfach: Geht! Geht! Wir haben auch einen Soldaten, der regelmäßig Dienst an einem der Kontrollpunkte tut, der macht, sowie er unser ansichtig wird, eine abweisende Handbewegung und ruft von weitem: Kein Englisch! Keine Fotos! Und auch das ist als Befehl gemeint. Wir verstehen das, lachen und klopfen auf die geschlossene Jackentasche, um zu zeigen, dass der Fotoapparat da drinnen bleibt. Aber dieser Soldat hier konnte Englisch und wollte auch reden. Er lehnte sich leicht aus seinem Fenster und fragte streng: Was macht ihr hier? Das Gespräch führte dazu, dass er uns erklärte, hier würde alles gut gemacht und wir würden hier nicht gebraucht. Umso besser, sagten wir, da habt Ihr ja nichts zu verbergen. Nein nein!, entgegnete er, jetzt ungeduldig, wir wollen euch hier nicht, das geht euch gar nichts an, das ist unser Krieg! Die Betonung lag auf dem Wort: unser.

Die Überwachung der Kontrollstellen gehört zu unseren Aufgaben. Wir besuchen regelmäßig vier sehr unterschiedliche Kontrollstellen. Eine davon liegt mitten im Palästinensergebiet und gehört zu den 546 Barrieren im Land, mit denen Israel nicht nur seine „Grenzen“ zu den Palästinensergebieten, sondern auch seine Straßen kontrolliert, die ausschließlich für Israelis, vor allem eben für die Siedler, durch Palästinensergebiete verlaufen. Vielleicht müsste ich an dieser Stelle was zu den Worten sagen, die in den Medien gebraucht werden und die auch ich verwende. Aber das würde zu diffizil, eben weil es ganz verschiedene Sperren und Durchlässe gibt. Im Original heißt es eben nicht wie im Englischen „Checkpoint“ oder wie im Deutschen „Grenzkontrolle“. Das hebräische Wort heißt „Machsom“, im Plural „Machsomim“. Es bedeutet: Sperre. Und es macht deutlich, dass es in erster Linie um die Barrieren, um die Absperrung und um Kontrolle des Verkehrs auch mitten in den Palästinensergebieten geht, nicht um ihre Durchlässe und einen Grenzverkehr.

Wir sind froh, dass wir bisher keine Kampfeinsätze erlebt, keine Festnahmen erkannt oder Handgreiflichkeiten gesehen haben, wie im vergangenen Jahr. In unseren Berichten steht dann meist in der entsprechenden Rubrik: Keine Vorfälle gesehen. Auch im Bericht über den Besuch des Checkpoints unter dem Ölberg heute früh steht: Keine besonderen Vorfälle. Und doch gehen wir jedes Mal frustriert von dem, was wir dort beobachten, davon oder sitzen im Bus, der sich im morgendlichen Stau langsam auf die Altstadt zu bewegt, und meditieren diese Situation. Mit uns im Bus sitzen dann, auf dem Weg zu ihren Arbeitsplätzen, die Palästinenser, die erstmal erleichtert sind, weil sie diese tägliche Demütigung der Grenzkontrollen hinter sich haben.

Keine besonderen Vorkommnisse: Das Brüllen der Lautsprecher, das Zucken in den Gesichtern der zwischen den Drehgittern eingezwängten, die gebogenen Rücken der Gedemütigten, die ihre Hände zur Computerkontrolle auf die Mattscheibe legen müssen; die abgewandten Blicke der Männer, die draußen und bevor sie in die Busse steigen, ihre Gürtel wieder in die Schlaufen ziehen, die Hemden ordentlich in die Hosen zwängen; die leichten Handbewegungen der jungen Soldaten, mit denen sie Erwachsene und Alte zu sich heranwinken; die verlorene Stunde Lebenszeit – das alles zählt zur Routine. Eine Mutter kommt mit zwei Kindern. Die Kinder nehmen sich an die Hand und zwängen sich gemeinsam durch das Drehgitter, während die Mutter, in einem Arm das Baby, mit der anderen Hand ihren gefalteten Buggy haltend hofft, dass die hinter ihr Drängenden nicht zu arg schieben, so dass sie mit dem Buggy in einem und sie mit dem Kind im anderen Segment des Drehgitters zur nächsten Kontrolle gehen kann. Sie muss drei dieser Drehgitter passieren; in der Personenkontrolle ist sie dann auf die Freundlichkeit der Soldaten angewiesen, die zulassen, dass der Kinderwagen außerhalb des Metalldetektors passieren darf. Das ist schmerzlich anzusehen, ist aber normal. Eine Soldatin geht Kaffee trinken, eine Linie fällt für 10 Minuten aus; Der Soldatin sind der Kaffee und die Pause zu gönnen; aber für die Grenzgänger entsteht die Frage: Sollen sie einfach die vielleicht 5 oder vielleicht 15 Minuten warten oder sich in die anderen Schlangen reinzwängen? Ein Mann hat seine Arbeitserlaubnis vergessen. Sie ist in der anderen Hose. Die Grenzbeamten kennen ihn doch, er geht jeden Tag hier durch. Aber das gilt nicht, er muss nachhause fahren, das Papier holen. Das kostet ihn eine Stunde, die ihm sein Arbeitgeber abziehen wird. Das ist noch kein Anlass, eine Beschwerde in Betracht zu ziehen. Eine alte Frau trägt Weinblätter auf dem Kopf, die will sie auf einer der Einkaufsstraßen in Jerusalem verkaufen. Sie hat keine Genehmigung und darf nicht durch. Sie schimpft. Der Soldat, 17 Jahre alt, fährt sie an und macht diese Bewegung mit dem gestreckten Arm und Zeigefinger: Geh schon! Er sieht ihr herausfordernd ins Gesicht, was man hier nicht tut. Die Frau spuckt ihn an. Er brüllt und reißt sein Gewehr hoch. Die anderen Soldaten sind ihrerseits alle wachsam und einer kommt und schiebt die Frau weg. Die Palästinenser ringsum sind fassungslos: Man berührt keine Frau in der Öffentlichkeit! Aber einer von ihnen kommt und geleitet die Frau höflich davon, damit die Szene nicht weiter eskaliert. Die unzähligen kleinen Demütigungen gehören zu diesem System. Im Bericht wird an diesem Tag stehen: Keine besonderen Vorkommnisse.

Am Donnerstag ist ein Mann aus der langen Schlange der Wartenden ausgeschert. Er ist auf uns zugekommen. Aggressiv hat er gefragt, was unsere Aufgabe hier sei. Langsam hat er verstanden, dass wir nicht Teil des Abfertigungssystems sind, sondern hier stehen, damit Verstöße gegen eine ordentliche Abwicklung der Grenzübertritte möglichst nicht vorkommen. Die anderen, die uns kennen, wollten ihn zurückziehen. Aber er war nun in Schwung. Er hat uns das Wort „Frieden“, das in unserem Titel steckt, vorgeworfen: Frieden könne es hier nicht geben. Sollen wir zustimmen, dass die uns unser Land wegnehmen, uns von unseren Familien trennen, Grenzen setzen, wo niemals welche waren? Sollen wir zustimmen, dass sie unsere Kinder von den Krankenhäusern fernhalten? Der Mann war Arzt und offensichtlich sehr erregt. Wir haben ihm zugestanden, dass er ein Recht auf diesen Zorn habe aber dass wir unsererseits dafür stehen, Gerechtigkeit wieder herzustellen und den Weg zum Frieden offen zu halten. Davon wollte er nichts wissen. Und viele der Männer in der Schlange der Wartenden haben es vorgezogen, wegzuschauen und ihre Meinung nicht zu erkennen zu geben. Wir haben das später zwischen uns Freiwilligen diskutiert und gesagt, dass auch das zu unserer Aufgabe gehört: Die Frustration der Opfer dieser Trennungsbarriere entgegen zu nehmen.
Am Sonntag war ich bei der Frühmesse der Franziskanermönche gewesen. Auf dem Weg nach Hause rief mich ein Mann an. Ich war der Meinung, es sei ein Taxifahrer oder ein Ladenbesitzer, der Kunden anspricht und wollte weiter gehen. Aber er lief mir hinterher und ich wandte mich, vorsichtshalber freundlich, ihm zu. Dieser Mann überfiel mich mit dem Vorwurf, dass ich an diesem Morgen nicht am Container Kontrollpunkt gewesen sei. Es sei sehr ruppig zugegangen. Völlig verblüfft habe ich ihm zugehört. Er hatte uns dort vor drei Tagen gesehen, aber am nächsten und übernächsten Tag vermisst. Die Soldaten lassen ihre Launen und Willkür an uns aus, sagte er. Warum steht ihr nicht immer da? Auch er war der Meinung, dass es unser Amt sei, dort für gute Abfertigung zu sorgen. Ich musste ihm aufzählen, wie viele andere Kontrollpunkte und Aufgaben wir noch hätten. Und überhaupt, dass wir eigentlich ganz machtlos und von der Grenzpolizei unerwünscht seien. Fast missmutig entließ er mich, eigentlich doch enttäuscht, dass wir nicht mehr für die Situation an der Sperranlage tun konnten.
Die Grenzübertritte und der Einschluss in den versperrten, besetzten Gebieten gehören hier zum Alltag. Aber sie sind grauenhaft. Die Mauer, 12 Meter hoch, kalter Beton, sieht schlimm aus, aber ihre Funktion, eine Sperre zu errichten, die täglich in das Leben der Menschen einschneidet – ihre Funktion ist schlimmer als ihr Aussehen. Das Leben unter der Besatzung, die nun schon 40 Jahre währt, länger als irgendeine andere Okkupation unserer Zeit, ist unerträglich. Es produziert täglich neuen Hass.
Zu verstehen ist das alles nur, wenn man die Sicht der anderen Seite zur Kenntnis nimmt: Israel wähnt sich im Krieg. Es sieht sich bedroht und von der restlichen Welt nicht verstanden. Und das hat der Soldat ausgedrückt, als er sich unsere Einmischung verbat. Was tut ihr, um uns zu schützen, fragen Israelis. Auch das diskutieren wir und finden, wir müssen uns das anhören.
„Das ist unser Krieg“, sagte der junge Soldat und schloss das Fenster mit den schusssicheren Scheiben.

Erstes Foto: Tina vor dem verschlossenen Drehgitter
Zweites Foto: Zwei Frauen von Machsom Watch reden mit den Soldaten
Drittes Foto: Ein Spürhund wird eingesetzt
Viertes Foto: Morgens um 6.30, Menschen warten auf die Kontrolle
Fünftes Foto: Die Kinder vom Flüchtlingslager Shufat zeigen uns "ihre" Mauer