Wednesday, November 08, 2006

Berichte aus Jerusalem

Berichte aus Jerusalem

Wünschet Jerusalem Glück!

Die Erlöserkirche in Jerusalem liegt mitten in der Altstadt, gerade noch im Christlichen, aber dicht an der Grenze zum muslimischen Viertel und man kann, wenn man über die anliegenden Gebäude schaut, die Flaggen mit Davidsstern sehen, die die jüdischen Wohnungen über den arabischen Läden kennzeichnen. Die Völker leben hier zusammen. Aber glücklich?

Schon auf dem Weg zur Kirche fällt mir eine Gruppe auf, Männer in dunklen Anzügen und mit Kollar, und Frauen in europäischer Sonntagskleidung. Meine Vermutung, dass sie zur Erlöserkirche zielen, war richtig. In der Kirche sind bestimmt achtzig bis hundert Besucher. Vier Pfarrer und eine Pfarrerin im Talar sowie zwei Älteste ziehen ein und nehmen in der ersten Reihe Platz. Heute wird der Vikar in die Gemeinde eingeführt. Es wird ein festlicher Gottesdienst.

Der Propst begrüßt die Gemeinde mit dem Motto für diesen Gottesdienst, er bezieht sich auf den Psalm 122: Die Völker ziehen hinauf nach Jerusalem, die Stadt, in der man zusammen kommen soll, um in ihren Mauern zu preisen den Namen des Herrn. Später wird der Psalm im Wechsel gelesen: „Nun stehen unsere Füße in deinen Toren, Jerusalem. Jerusalem ist gebaut als eine Stadt, in der man zusammenkommen soll… Wünschet Jerusalem Glück! Es möge wohlgehen denen, die dich lieben! Es möge Friede sein in deinen Mauern und glück in deinen Palästen!“

Der Propst sieht Gemeindeglieder, die in Jerusalem wohnen vor sich; Gäste aus Deutschland, die zu diesem Anlass in die Stadt auf dem Berge gekommen sind, auch andere Pilger, die die heiligen Stätten sehen und den Atem der Geschichte des Christentums hier atmen wollen. Menschen eben, für die diese Stadt viel bedeutet. Die Völker strömen in diese Stadt. Schön, wenn die alte Psalmdichtung so anschaulich dargestellt und gefeiert werden kann.

Für mich liegt die erste Woche meines ökumenischen Friedensprogramms hinter mir. Vor zwei Tagen, am Freitag, hatte ich erlebt, wie landesweit Maßnahmen getroffen worden waren, um nur ältere Palästinenser durch die Tore der Stadt zu lassen, die auf dem Tempelberg beten und ihrem Glauben gemäß feiern wollten: Am Freitag im Fastenmonat Ramadan. Die Kontrollpunkte an Ostjerusalems Grenzen waren zu Festungen ausgebaut und die Pilgerströme der palästinensischen Muslime waren gefiltert und zum Teil mit Gewalt aufgehalten worden. Ich hatte die Polizei- und Armeekräfte vor den alten ehrwürdigen Stadttoren gesehen, die ihre Arbeit ernst und effektiv gemacht, die die gottesdienstliche Stimmung der frommen Pilger nachhaltig gestört hatten, die zu ihren Pausen den Helm abgenommen und darunter ihre jüdische Kippa, Zeichen ihrer Zugehörigkeit zum Volk Gottes, gezeigt hatten. Ich hatte gesehen, wie viel Gewalt nötig war, um Sicherheit in den Mauern dieser Stadt zu gewährleisten und wie diese Gewalt nur weitere Gewalt erzeugen wird; denn was werden die muslimischen Jugendlichen, die jungen Ehemänner und die Väter mit ihren weißen Kappen, die, wenn sie von außerhalb der Stadtgrenzen in die Stadt kommen wollten, abgewiesen und zum Teil verächtlich oder beleidigend behandelt worden waren – was werden sie aus ihrer Liebe zu dieser Stadt machen?

Jerusalem ist eine Stadt mit zwei Namen. Den einen kennen wir: „Jerusalem“, die Stadt der Könige Israels und Judas. Und den anderen nehmen wir manchmal mit Erstaunen zur Kenntnis und vergessen ihn wieder: „Al Quds“, die Heilige, die Stadt der Muslime, die dritte Stadt nach Mekka und Medina, die mit dem Leben und mit den Visionen Mohameds verbunden ist. Die Stadt ist seit einigen Jahrzehnten getrennt: in das jüdische West- und das muslimische Ost-Jerusalem. Die Christen leben als Minderheit vor allem in Ost-Jerusalem. Aber das Problem ist, dass der Ostteil der Stadt, mit dem Tempelberg und dem Felsendom und der Al-Aqsa Moschee vom palästinensischen Hinterland abgetrennt und von israelischer Polizei und Armee kontrolliert wird. Und dass im Konfliktfall Juden mit schwarzer Kippa die Muslime mit weißer Kappe daran hindern, in die Stadt zu ihren Heiligen Stätten zu kommen.

Da stand der Muslim, der 51 Jahre alt und darum am Kontrollpunkt abgewiesen worden war. Von Tulkarem, im Nordosten der Besetzten Gebiete war er gekommen. Fünf Stunden hatte er gebraucht, um bis hierher zu kommen. Zwanzig Minuten Busfahrt trennten ihn nun von der Moschee, in der er das Mittagsgebet dieses Freitags im Ramadan feiern wollte. Aber er durfte nicht weiter. Seine Familie, Frau und drei kleine Kinder waren auf der anderen Seite, ohne Geld, wie er mir beteuerte. Er glaubte, ich könne bewirken, dass er durch die Kontrolle gelassen würde. Wo kommst du her? Aus Deutschland. Was bist du? Christ. Christen und Muslime sind nahe beieinander, sagt er. Und ich schäme mich, weil ich es aus Deutschland anders kenne. Juden sind weit von uns weg, sagt er. Die Juden lassen uns nicht zum Gebet nach Jerusalem. Das sagt der Muslim, der von den Grenzpolizisten, die hier keine Grenze, sondern eine Annexionslinie bewachen, zurück geschickt worden ist. Er zeigt auf die Uniformierten, auf die schwer Bewaffneten, aber er nennt sie Juden. Und er sagt, die Juden wollen uns den Tempelberg wegnehmen, sie wollen uns aus Jerusalem vertreiben.

Was der Mann an dem Kontrollpunkt sagt, habe ich, seit ich hier in Jerusalem bin, oft gehört. Die Juden wollen uns vertreiben. Israel will Fakten schaffen und Jerusalem für sich in Besitz nehmen. Einmal, an einem anderen Kontrollpunkt, habe ich das mit großer Verbitterung gehört. Der Mann, der es äußerte, war sehr ungehalten darüber, dass wir Europäer hier so ein Programm aufziehen und gleichzeitig blind sind und überhaupt kein Verständnis für die Situation der Palästinenser haben. Wir leben hier seit Jahrtausenden, hat er gesagt: Warum schickt ihr die Juden in unser Land, die ihr nicht haben wollt und helft ihnen, dass sie uns unser Land wegnehmen?

Und natürlich habe ich auch das Gegenteil gehört. Israelis, die verbittert beobachten, wie die Europäer das Existenzrecht der Palästinenser durchsetzen wollen; die den Libanonkrieg als Überfall Israels auf ein unschuldiges Land sehen; die Israels starke militärische Präsenz und Politik in den Besetzten Gebieten kritisieren. Die sagen mit gleichen Worten: Ihr versteht uns nicht. Was wollt Ihr Europäer uns vorschreiben?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich ein Recht dazu habe, hier in Jerusalem zu sein und zuzusehen, wie sich Israelis und Palästinenser um dieses Land streiten müssen, um sich ihr Lebensrecht zu sichern.

Ich sitze dann in dem Gottesdienst in der Erlöserkirche. Ich will zur Gemeinde gehören, die den alten Psalm betet und den Gottesdienst feiert. Und ich merke, wie ich mich schwer tue. Es herrscht kein Friede in den Mauern Jerusalems. Die Menschen sind nicht glücklich, nicht die im Westen und nicht die im Osten der Altstadt mit ihrer Klagemauer und ihrer Al-Aqsa Moschee und mit ihren Kirchen, die über den Spuren von Jesus von Nazareth erbaut worden sind. Und es kommen nicht alle an, die sich aufmachen, um den Namen Gottes hier zu preisen. Nicht Liebe, sondern Hass wird gesät in dieser Stadt.

Aber in einem Satz, in dem Stoßgebet kann ich mich einfinden und niederlassen: „Wünschet Jerusalem Glück! Es möge wohlgehen denen, die dich lieben!“



15. Oktober 2006

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